DER ITALIENISCHE TENOR



A Marechiare nce sta na fenesta” – ein berühmtes neapolitanisches Lied von Tosti beschwört in der Abenddämmerung ein Balkonfenster herauf, hinter dem die Geliebte sich noch versteckt hält. Ihr ungeduldiger Anbeter steht unten und schildert, lebhaft und verlockend, den aufsteigenden Mond und das schillernde Meer. Aus Heiterkeit purzeln die Wellen drunter und drüber, singt er; sogar die Fische sind liebestrunken, und er fleht: „Komm doch endlich zu mir!”

Im neapolitanischen Repertoire gibt es viele solche Beschwörungsformeln, die imstande sind, heftige Gefühlswallungen aufsteigen zu lassen, von verzweifelter Sehnsucht über glühendes Lob bis hin zu jubelnder Verführung. Allzu oft verfällt jedoch die Wiedergabe solcher ungestümen Leidenschaften ins Klischeehafte, ins Übertriebene.

George Frederick Takis umgeht solche Gefühlsduselei durch den nüchternen Ansatz, den Text ernst zu nehmen. Bei seiner Interpretation wachsen die canzoni aus ihrem Innern und erreichen eine authentische Intensität. Die Zuhörer spüren, daß der Tenor weiß, wovon er singt, und werden von seinem aufmerksamen Hinhören angesteckt. Seine kurzen und oft humorvollen Einleitungen deuten die Inhalte auf solche Weise, daß die bekannten Melodien plötzlich sowohl Herz als auch Verstand ergreifen.

Opernarien von Verdi, Donizetti, Rossini und Puccini werden mit derselben liebevollen Sorgfalt präsentiert und gelangen zu ihrer eigentlichen Ausdruckskraft. Schnelle Läufe und hohe Töne schrumpfen nicht zu abgedroschenen Show-Nummern, sondern erklingen im Dienst der Worte. Gleichzeitig pflegt der Sänger die sinnliche Schönheit dieser Musik und meistert ihre hohen Anforderungen durch eine gereifte Stimmtechnik. Sanfte Töne quellen aus seiner Kehle empor, sammeln sich pulsierend im Raum, strömen dann, stark und glockenklar, den gebannten Hörern zu.

Vor der musikalischen Darbietung des italienischen Tenors kann ein komischer Auftritt in zwei Varianten erfolgen:

Der Gondoliere Disperato erheitert die Gäste mit seiner vergeblichen Suche nach einer Gondel überall am Auftrittsort. Wie ein Fisch auf dem Trockenen verkündet er lauthals seine Verzweiflung und verdächtigt seine amüsierten Gesprächspartner des dreisten Diebstahls. Die Situationskomik wird durch seine scheiternden Kommunikationsversuche bereichert: Der gestrandete Italiener meint, die deutsche Sprache zu beherrschen, mißversteht aber grundsätzlich die hilfreichen Hinweise der Gäste und antwortet mit schräger Logik und sprachlichem Unsinn. Das flutende Chaos ebbt erst ab, wenn der verdatterte Gondelfahrer entdeckt, daß er seine beliebten Lieder auch auf festem Boden vortragen kann.

Im Gegensatz dazu meint der italienische Kellner Giacomo Trottolino, alles im Griff zu haben — vor allem die Gäste. Mit ausladender Gestik und empörter Mimik reagiert er auf ihr vermeintliches Fehlverhalten, erinnert wiederholt an die Wichtigkeit der Tischmanieren. Er ist ja schon viele Jahre in Deutschland, weiß welches völlige Durcheinander entsteht, wenn er auch nur ganz kurz die Deutschen unbeaufsichtigt am Tisch läßt. In seiner Leidenschaft vergißt er es manchmal, mit den tedeschi in ihrer Muttersprache zu reden, und sein Nationalstolz reagiert fassungslos, wenn sie ihn auf italienisch gar nicht verstehen können. Letztendlich aber fließt eine herzerfreuende Kommunikation zwischen den Kulturen, wenn seine Strenge erweicht und dieser heißblütige Südländer seine grundlegende Zuneigung durch die universelle Sprache der Musik kundtut.




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